Die Kraft unseres Atmens

Japanische Heilkunde & Ayurveda

Diesen Monat durfte ich Japan besuchen und mir kam die Idee zu schauen, was es in der japanischen Heilkunde für Parallelen zum Ayurveda gibt. Ich stieß auf das Thema des „bewußten Atems“, welches im Yoga/Ayurveda wie auch in der alten japanischen Heilkunst eine Rolle spielt.

Ich fing an in verschiedenen Büchern zu stöbern, konzentrierte mich aber letztendlich auf ein Buch von Dr. Nobuo Shinya; einem japanischen Arzt, der sich intensiv mit dem Thema Atmung und der Rolle des Sauerstoffs auf unsere Zellen auseinandergesetzt hat. Für mich haben seine Ausführungen grossen Sinn gemacht, daher habe ich hier einige Punkte zusammengefasst, um diese mit Dir zu teilen.

Zuletzt findest Du 4 Atemübungen (2 von Dr. Nobuo Shinya und 2 aus dem Yoga / Ayurveda), die Du in Deinen Alltag integrieren kannst. Wer mehr ins Detail eintauchen will, findet am Ende dieses Eintrags die ISBN Nummern der Quellen, die ich verwendet habe.

Dr. Nobuo Shinya entwickelte über die Jahrzehnte seiner praktischen Arbeit als Arzt seine eigene Atemmethode, die der Bauchatmung im Ayurveda recht ähnlich ist. Doch erst einmal ein paar Erkenntnisse aus seinem Buch, die auch in der Schulmedizin bekannt sind und die zumindest mich animiert haben, mehr auf meine Atmung zu achten und regelmässige Atemübungen in meinen Alltag zu integrieren.

Ein paar Fakten zusammengefasst

Unsere Körperzellen sind auf Sauerstoff angewiesen, der für die verschiedenen Zellabläufe nötig ist. Sauerstoff ist nahezu an allen Funktionen unserer Zellen beteiligt. Haben wir zu wenig Sauerstoff im Blut, hat dies eine direkte Auswirkung auf die Funktionalität unserer Zellen. Die Reproduzierbarkeit sinkt, die Zellen ermüden und der Zelltod tritt früher ein.

Die Zellen, welche am meisten Sauerstoff benötigen, sind die Zellen unseres Gehirns. Eine tiefe Bauchatmung hat somit eine direkte Auswirkung auf unsere Gehirnfunktionalität. Probiere es aus, wenn die Konzentration nachlässt. Stehe auf, gehe nach draussen und setze Dich gerade hin, entspanne und Atme tief in den Bauchraum. Mit der Einatmung wölbt sich der Bauch nach aussen, bei der Ausatmung nach innen. Die gerade Haltung ist hierbei wichtig, damit der Sauerstoff in die Lungenspitzen dringen kann. Es ist gar nicht so einfach Millionen von Zellen gut mit Sauerstoff zu versorgen.

Die Rolle der Lungenbläschen
Warum ist es nicht so einfach mit der Sauerstoffaufnahme? Dies liegt wohl unter anderem an unseren Lungenbläschen, wo Sauerstoff aufgenommen und verteilt wird. Diese Bläschen sind keine Muskeln, sie können sich nicht ausdehnen und zusammenziehen. Daher ist einiges an Kraftaufwand nötig, um die Lungenbläschen mit Luft zu füllen. Umso mehr sich der Brustkorb weitet und so mehr Luft mit einem Atemzug in die Lunge gebracht wird, desto mehr dehnen sich auch die Lungenbläschen aus und der Sauerstoff kann gut absorbiert werden. Gut zu wissen ist, dass dabei die Menge des Sauerstoffs, welcher in unserem Blut landet, direkt gekoppelt ist, mit der Menge des Sauerstoffs in unseren Lungenbläschen. Zudem füllt die Luft bei der normalen Atmung (auch der tieferen Atmung) lediglich die Lungenspitzen und der Sauerstoff dringt selten in die Lungenbasis (der untere Teil der Lunge). Damit wir aber genügen Sauerstoff zur Verfügung haben, ist es wichtig, dass auch der untere Teil der Lunge mit Luft gefüllt wird. Somit ist eine gute Atemtechnik hilfreich, um genügend Sauerstoff in den unteren Teil der Lunge zu bringen.
 
Die Rolle des Zwerchfells
Das Zwerchfell spielt eine wichtige Rolle, um genügend Sauerstoff in den unteren Teil der Lunge zu bringen. Beim Ein- und Ausatmen hebt und senkt sich das Zwerchfell automatisch. Tut es dies beim Ein- und Ausatmen zum Maximum, vergrössert dies den Lungenraum und hat somit eine direkte Auswirkung auf die Lungenkapazität. Daher sollte die Rolle des Zwerchfells bei der Atmung nicht unterschätzt werden.


Die Rolle der Konzentration
Beim bewussten Atmen, resp. den Atemübungen & -techniken kommt es auch auf die Konzentration beim Atmen an. Diese sollte auf den Mittelpunkt im Körper gerichtet werden. Im Japanischen spricht man vom sogenannten "Seika - tandem", im Chinesischen von der "goldenen Perle" und im Ayurveda vom "Nabi". Diese Stelle liegt im Zentrum unseres Körpers, also um bzw. leicht unterhalb des Nabels. Die Konzentration auf das Zentrum im Bauchraum hilft dabei, die Atmung zu vertiefen und so die Sauerstoffaufnahme zu verbessern.

Der Einfluss der Bauchatmung auf den Darm
Die Länge unseres Darms umfasst ca. 6 Meter. Diese 6 Meter verlaufen in unserem Bauchraum und bilden viele Falten und Schlingen. Der Darm ist von zahlreichen Blutgefässen umgeben, da es dort zum direkten Austausch von Nährstoffen kommt, die wichtig für die gesamten Zellen unseren Körpers sind. Dr. Nobuo Shinya bezeichnet die Umgebung des Darms treffend als "Schatzkammer" wo die wichtigen Bausteine, Aminosäuren, Kohlenhydrate, Vitamine und Spurenelemente von den Blutgefässen aufgenommen und zu den Zellen im ganzen Körper transportiert werden.
Was hat das mit der Atmung zu tun? Durch die anatomische Struktur unseres Darms kann es dort zu Stauungen von Blut kommen, das Blut stagniert und so werden weniger Nährstoffe zu den Zellen transportiert. Durch die tiefe Bauchatmung wird der Druck im Unterbauch erhöht, was das stagnierte Blut wieder in Fluss bring und zu einem verbesserten Nährstofftransport führt.

Warum atmen wir durch die Nase?
Bei den folgend beschriebenen Atemtechniken wird IMMER durch die Nase geatmet. Dies ist bei den Techniken von Dr. Nobuo Shinya der Fall, wie auch im Yoga / Ayurveda (Anmerkung: der Ayurveda nutzt die Atemtechniken des Yogas und bindet diese in die Therapiekonzepte ein). Der Grund ist, dass die Nasenhaare die Atemwege vom Eindringen von Staub und Partikeln schützen, die Luft zudem auf die optimale Temperatur gebracht und befeuchtet wird. Im Vergleich zum Mund ist dies nicht der Fall, da die Mundschleimhaut weder die Eigenschaften des "Filters" noch die Befeuchtung der Luft in der optimalen Weise ausübt (da sie wesentlich schneller austrocknet). Generell sollten wir darauf achten durch die Nase zu atmen und weniger durch den Mund.

Atemtechniken zum selber praktizieren

Wann:
Am Morgen wie am Abend lohnt es sich die Atemübungen zu praktizieren. Wichtig hierbei ist, nicht mit vollem Magen zu praktizieren.

Die Sitzposition im Alltag:
Achte darauf die Füsse auf den Boden zu stellen, gerade und aufrecht zu sitzen und tief durch die Nase ein- und auszuatmen.

Technik 1: Die Wechselatmung / Anuloma Viloma Pranayama (Yoga / Ayurveda)

Setze Dich aufrecht hin. Du kannst z.B. auf einem Stuhl im Schneidersitz oder Kniesitz praktizieren. Wichtig ist eine aufrechte Haltung.

Wenn Du auf einem Stuhl praktizierst achte darauf, dass Du Dich nicht an die Rückenlehne anlehnst und die Hände nicht auf der Lehne ablegst, sondern auf den Beinen. Handflächen nach oben oder nach unten.

 

Atme erst einmal ein paar mal tief ein und aus. Konzentriere Dich dabei - und auch während der gesamten Praxis – nur auf die Atmung. Laß die Atmung durch die Nase ein- und ausfließen. Atme auf diese Weise ein paar Minuten ein und aus. Nimm dann Deine Hand und verschließe abwechselnd mit Daumen und Ringfinger jeweils das linke und rechte Nasenloch. Verschließe zuerst das rechte und atme tief durch das linke Nasenloch in den Bauch ein (nicht in die Brust!). Nun verschließe beide Nasenlöcher und halte den Atem einen Augenblick an (nur so lange, dass es nicht unangenehm wird). Nun verschließe das linke Nasenloch und laß die Luft durch das rechte Nasenloch ausströmen. Verweile kurz mit leerer Lunge (bis es nicht unangenehm wird), und atme dann durch das rechte Nasenloch wieder ein. Verschließe beide Nasenlöcher. Verweile mit voller Lunge und atme durch das linke Nasenloch wieder aus. Verweilen, und durch das linke Nasenloch wieder einatmen …..

Praktiziere dies einige Minuten, so lange bis Du bemerkst, daß es Dir gut tut. 

 

Wirkung:

Wirkt beruhigend, stärkt Herz und Lunge.

Technik 2: Das bewusste Atmen (Dr. Nobuo Shinya)

Sitze aufrecht, entspannt, wie oben bei der Wechselatmung beschrieben. Bei starker Schwäche kann im Liegen praktiziert werden (lege Deine Arme neben dem Körper ab). Wenn Du im Sitzen praktizierst, lege beide Handflächen vor dem Nabel zusammen, als würdest Du einen kleinen Ball umfassen. Die Hand, die Du am meisten benutzt, liegt oben. Diese Stellung der Hände kommt aus dem Yoga, das sogenannte Mudra und wird als "Mudra der Glocke" bezeichnet. Über Mudras folgt demnächst ein separater Blogartikel.

Atme so ruhig durch die Nase ein und aus. Dann Atme durch die Nase ein und drücke die eingeatmete Luft energisch in den Unterbauch. Dadurch senkt sich das Zwerchfell und die komplette Lunge wird bis zur Basis mit Luft gefüllt. Halte den Atem an und bringe Kraft in Deinen Unterbauch, indem Du die unteren Bauchmuskeln du die Gesässmuskulatur anspannst. Halte dies für einige Sekunden (max. 10 Sekunden aber nur so lange es für Dich nicht unangenehm wird). Atme nun langsam, geräuschlos und möglichst vollständig durch die Nase aus. Dabei lass die Spannung im Unterbauch und Gesäss langsam los, wobei die Bauchdecke wieder nach innen sinken kann. Das Ausatmen sollte ca. doppelt so lange dauern, wie das Einatmen. Nun atme ein- / zweimal ruhig ein und aus, um die Atmung zu regulieren. Wiederhole den oben beschriebenen Zyklus wieder. 25 Zyklen täglich sollten so praktiziert werden. Du kannst dies in einem Durchgang oder mehreren Abschnitten tun.

Mache zum Abschluss ca. 10 ruhige, tiefe Atemzüge und bringe dabei Kraft in Deine Mitte (also spanne dabei leicht Deine Bauchmuskulatur an).

Wirkung:
Es handelt sich hier um eine Form der tiefen Bauchatmung. Dabei wird die gesamte Lunge mit Luft gefüllt. Diese Technik erhöht die Energie, stärkt die Lunge und verbessert die Lungenfunktion. Gerade am Morgen ist diese Technik ein guter Start in den Tag.

Technik 3: Die Imagination (Dr. Nobuo Shinya)

Bei der Imagination geht es darum, die Kraft positiver Gedanken in die oben beschriebene Atemübung einzufügen. Um die Imagination in Einklang mit dem Atem zu bringen, kann man wie folgt vorgehen.

Beim Einatmen erfasst man einen positiven Gedanken. Als Beispiel sitze ich in einem Wald auf einer Wiese und atme frische, sauerstoffreiche Luft ein, die mir Energie gibt. Beim Anhalten der Luft stelle ich mir vor, wie der Sauerstoff in jede meiner Zellen dringt und ich mich immer stärker fühle. Während der Ausatmung stelle ich mir vor, wie zum Beispiel Abfallstoffe den Körper verlassen.

Dies ist nur ein Beispiel. Jede Art von positiven Gedanken / Geschichten kannst Du hier mit Deiner Atmung verbinden.

Wirkung:
Die Imagination wirkt extrem beruhigend auf einen unruhigen Geist, Gedankenkarusselle werden gestoppt und Ruhe kehrt in den Körper. Gerade in Stresszuständen ist die Imagination eine sehr effektive Übung.

Technik 4: Der Feueratem - Bhastrika Pranayama (Yoga / Ayurveda)

Sitze aufrecht hin, lege die Hände auf Deinen Schenkeln ab, die Handflächen nach oben oder unten zeigend.

Atme normal durch die Nase ein und aktiv mit wenig Kraftaufwendung durch die Nase wieder aus. Erhöhe nun die Frequenz der Atmung, erst langsam, dann schneller (wie bei einer Dampflokomotive). Spanne beim Ausatmen die Bauchmuskulatur an (die Bauchdecke bewegt sich im Rhythmus der Atmung vor und zurück). Atme auf diese Weise 30 mal aus (pass aber auf, dass Dir nicht schwindlig wird. Wenn es unangenehm wird, atme ruhig und tief ein und aus. Mit der Zeit und Übung wird sich dies bessern).

Am Ende nimm nochmal ein paar tiefe Atemzüge, um die Übung abzuschliessen. Diese Übung kann bis zu 5 mal morgens und abends wiederholt werden, aber nicht kurz bevor man ins Bett geht, da diese Technik recht anregend wirkt.

Wirkung:
Der Feueratem stärkt die Vitalkapazität der Lunge, lindert Asthma (was ich aus eigener Erfahrung bestätigen kann) und wirkt erhitzend auf den Körper, also probiere es aus, wenn Dir kalt ist.

Tipp

Wähle zuerst eine Technik aus, die Du versuchst jeden Tag zu praktizieren und beobachte dabei was passiert. Nach und nach kannst Du alle Techniken probieren oder kombinieren.

Viel Spass!

Informationen zu den Quellen

Dr. Nobuo Shinya
Die Kraft strahlender Gesundheit; Neue Vitalität für Millionen Körperzellen
Goldmann
ISBN: 978-3-641-23941-1 V002

Dr. Vasant Lad
Selbstheilung mit Ayurveda; Das Standardwerk der indischen Heilkunde
O.W.Barth
ISBN: 978-3-426-29110-8

Dr. Vasant Lad
Lehrbuch des Ayurveda; Allgemeine Prinzipien für Management und Behandlung Band III
Narayana Verlag
ISBN: 978-3-95582-078-7


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